Das Lexikon rund um die Selbsthilfe.

Formen der Selbsthilfe

Gemeinschaftliche Selbsthilfe ist der Zusammenschluss von Menschen außerhalb ihrer alltäglichen Beziehungen (wie Familie oder Freundschaft), die vom gleichen Problem betroffen sind, um einander zu unterstützen: von Selbsthilfegruppen über Selbsthilfeinitiativen und -organisationen bis hin zur virtuellen Selbsthilfe im Internet.

Virtuelle Selbsthilfe ist Selbsthilfe im Internet. Es sind meist Internetforen, in denen sich Betroffene über ihr gemeinsames Problem oder Anliegen austauschen. Diese Internetforen bestehen oft unabhängig von bestehenden Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen. Teilweise sind sie Teil des Angebots der Gruppen und Organisationen.

Individuelle Selbsthilfe bedeutet, dass Menschen aus eigener Kraft heraus versuchen, Lösungen für ihre Probleme zu finden.

Grundbegriffe der Selbsthilfe

Eine ausführliche Definition hat der Fachverband Deutsche Arbeitsgemeinschaft Selbsthilfegruppen e.V. (DAG SHG) erstellt:

„Selbsthilfegruppen sind freiwillige, meist lose Zusammenschlüsse von Menschen, deren Aktivitäten sich auf die gemeinsame Bewältigung von Krankheiten, psychischen oder sozialen Problemen richten, von denen sie – entweder selber oder als Angehörige – betroffen sind.

Sie wollen mit ihrer Arbeit keinen Gewinn erwirtschaften. Ihr Ziel ist eine Veränderung ihrer persönlichen Lebensumstände und häufig auch ein Hineinwirken in ihr soziales und politisches Umfeld. In der regelmäßigen, oft wöchentlichen Gruppenarbeit betonen sie Authentizität, Gleichberechtigung, gemeinsames Gespräch und gegenseitige Hilfe. Die Gruppe ist dabei ein Mittel, die äußere (soziale, gesellschaftliche) und die innere (persönliche, seelische) Isolation aufzuheben. Die Ziele von Selbsthilfegruppen richten sich vor allem auf ihre Mitglieder und nicht auf Außenstehende; darin unterscheiden sie sich von anderen Formen des Bürgerengagements. Selbsthilfegruppen werden nicht von professionellen Helfern geleitet; manche ziehen jedoch gelegentlich Experten zu bestimmten Fragestellungen hinzu.“

Eine Selbsthilfekontaktstelle ist eine professionelle Beratungsstelle zum Thema Selbsthilfe. Sie unterstützen Selbsthilfegruppen in der Nähe, vermitteln Interessierte an Selbsthilfegruppen und machen Öffentlichkeitsarbeit für die gemeinschaftliche Selbsthilfe. Selbsthilfekontaktstellen unterstützen themenübergreifend zu allen Krankheiten, Behinderungen, Süchten oder psychischen und sozialen Themen.

Selbsthilfeorganisationen sind Verbände von Betroffenen zu einem bestimmten Thema oder Anliegen. Neben einem Bundesverband bestehen die Selbsthilfeorganisationen oft aus Untergliederungen und Einzelpersonen auf Landes- und Ortsebene. Zur Bewältigung ihrer Aufgaben haben Selbsthilfeorganisationen – anders als Selbsthilfegruppen – auch hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Umfeld

Im Umfeld der gemeinschaftlichen Selbsthilfe werden oft Angehörige von Betroffenen unterschieden.

Angehörige meint diejenigen, die zum Beispiel nicht selbst erkrankt sind, aber durch ihre Beziehung zu einem erkrankten Betroffenen auch belastet sind.

Angehörige meint meist Familienangehörige, also Partnerinnen und Partner, Eltern oder Kinder. Es können aber auch zugehörige Freundinnen und Freunde gemeint sein.

In jüngster Zeit verliert die Unterscheidung in Angehörige und Betroffene an Bedeutung. Die Angehörigen werden zunehmend auch als Betroffene bezeichnet.

Im Umfeld der gemeinschaftlichen Selbsthilfe werden oft Betroffene von Angehörigen unterschieden.

Betroffene meint diejenigen, die von einem Problem selbst und unmittelbar betroffen sind.

In jüngster Zeit verliert die Unterscheidung in Angehörige und Betroffene an Bedeutung. Auch die Angehörigen werden zunehmend auch als Betroffene bezeichnet.

Prinzipien der Selbsthilfe

Mit Autonomie ist gemeint, dass Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen ihre Selbstbestimmung wahren und Interessenkonflikte vermeiden. Und dass sie allein den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet sind.

Informationelle Selbstbestimmung beinhaltet, dass jeder Mensch das Recht auf eine Privatsphäre hat und selbst über die Weitergabe und Verwendung persönlicher Daten bestimmt. Dieses Prinzip wird nicht nur in anonymen, sondern in allen Selbsthilfegruppen gelebt.

Die wechselseitige Verschwiegenheitsverpflichtung in einer Gruppe, Initiative oder Vereinigung schafft Vertrauen zwischen den Beteiligten und bietet Schutz vor einer missbräuchlichen Weitergabe personenbezogener Informationen an Dritte. In jeder Selbsthilfegruppe gilt daher der Grundsatz: Was in der Gruppe gesprochen wird, bleibt in der Gruppe und wird nicht nach außen getragen.
Eine Kommunikation, die alle Gruppenmitglieder weiterbringt, steht bei Selbsthilfegruppen im Vordergrund. Andere ausreden zu lassen und gewaltfrei zu kommunizieren, ist einer der wichtigsten Grundsätze der Gruppenarbeit.
Bei der Frage, inwieweit Gruppenmitglieder Details zu ihren Problemen preisgeben möchten, gilt der Grundsatz: Alles kann, nichts muss. Kein Gruppenmitglied wird zu etwas gezwungen.

Die Barrieren für den Beitritt neuer Mitglieder werden so niedrig wie möglich gehalten.

Alle tragen Verantwortung, keiner bestimmt über die anderen. Keines der Gruppenmitglieder wird bevor- oder benachteiligt.

Selbsthilfeförderung und -freundlichkeit

Selbsthilfeförderung meint die finanzielle Unterstützung von Selbsthilfegruppen, Selbsthilfeorganisationen und Selbsthilfekontaktstellen durch verschiedene Kostenträger wie Bund, Länder und Kommunen, Krankenkassen, Pflege- und Rentenversicherungen. Die finanzielle Förderung durch die Krankenkassen, Pflegeversicherung und Rentenversicherung ist in den jeweiligen Sozialgesetzbüchern geregelt.

Darüber hinaus gibt es auch private Geldgeber: Spender, Stiftungen und teils Wirtschaftsunternehmen. Die Finanzierung durch Wirtschaftsunternehmen wird kritisch gesehen, siehe Autonomie der Selbsthilfe.

Mit Autonomie ist gemeint, dass Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen ihre Selbstbestimmung wahren und Interessenkonflikte vermeiden. Und dass sie allein den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet sind.

Zentral hierbei ist die finanzielle Unabhängigkeit. Um ihre Autonomie zu wahren, nehmen Selbsthilfegruppen keine Gelder von Wirtschaftsunternehmen an, beispielsweise von Arzneimittelherstellern und Hilfsmittelherstellern.

Selbsthilfefreundlichkeit meint allgemein eine wertschätzende Haltung gegenüber dem Engagement von Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen. Inzwischen wird der Begriff Selbsthilfefreundlichkeit oft für die die strukturierte Zusammenarbeit von Gesundheitseinrichtungen mit Selbsthilfegruppen oder Selbsthilfekontaktstellen verwendet.

Im Netzwerk Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen haben sich professionelle Gesundheitseinrichtungen sowie Selbsthilfegruppen und Selbsthilfeorganisationen zusammengeschlossen, welche die Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen unterstützen wollen. Die NAKOS war bereits an der Gründung des Netzwerks beteiligt. Inzwischen ist die Geschäftsstelle des Netzwerks ein Teil der NAKOS.

Das Netzwerk Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen vergibt Auszeichnungen an Gesundheitseinrichtungen, die diese Auszeichnung beantragt haben und die Kriterien erfüllen.

Am 21. November 1986 hat in Ottawa die erste Internationale Konferenz zur Gesundheitsförderung stattgefunden und die so genannte Ottawa-Charta verabschiedet. Sie rief damit auf zu aktivem Handeln für das Ziel „Gesundheit für alle“ bis zum Jahr 2000 und darüber hinaus. In der Charta wurde ein weit reichendes Gesundheitsverständnis zum Ausdruck gebracht, das „körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden“ umfasst. Die Charta bezieht sich auch auf „Selbsthilfe und soziale Unterstützung sowie flexible Möglichkeiten der größeren öffentlichen Teilnahme und Mitbestimmung für Gesundheitsbelange“. Diese seien zu unterstützen bzw. neu zu entwickeln. Als notwendige Voraussetzungen dafür werden „Zugang zu allen Informationen“, die „Schaffung von gesundheitsorientierten Lernmöglichkeiten“ sowie die „angemessene finanzielle Unterstützung gemeinschaftlicher Initiativen“ angeführt.

Selbsthilfebeauftragte sind Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner innerhalb einer Gesundheitseinrichtung zum Thema Selbsthilfe. Vor allem Krankenhäuser benennen immer häufiger Selbsthilfebeauftragte.

Als Selbsthilfefreundliches Krankenhaus werden Krankenhäuser bezeichnet, die bestimmte Qualitätskriterien zur Einbeziehung von Selbsthilfegruppen erfüllen. Insgesamt acht Qualitätskriterien hat das Netzwerk Selbsthilfefreundlichkeit und Patientenorientierung im Gesundheitswesen hierfür definiert. Kriterien sind beispielsweise, dass Selbsthilfegruppen sich in den Räumen des Krankenhauses präsentieren können und das Krankenhaus eine Selbsthilfebeauftragte oder einen Selbsthilfebeauftragten benannt hat.

Rechtliches und Finanzielles

Eine Aufwandsentschädigung ist eine Vergütung, die zur Abgeltung von Zeit und / oder Aufwendungen gezahlt wird, die mit einem Amt oder einer Tätigkeit verbunden sind. Sie ist grundsätzlich steuerlich zu erklären. So erhalten etwa Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter von den in § 140f SGB V benannten Gremien eine gesetzlich geregelte Aufwandsentschädigung.

Der Pauschbetrag soll zur finanziellen Abfederung der Aufwendungen an Zeit für die Sitzungen und für die Sitzungsvorbereitung sowie für die Nutzung von privatem Computer, Internetanschlüssen, Telefonanschlüssen, Drucker und Papiervorräten dienen. Der Pauschbetrag kann die Kosten ersetzen und die entstandenen Kosten können in der Steuererklärung geltend gemacht werden. Der Auslagenersatz dagegen ist die Rückerstattung von konkret entstandenen Sachkosten im Rahmen einer ehrenamtlichen oder hauptamtlichen Tätigkeit. Er unterliegt bei Privatpersonen nicht der Steuerpflicht und ist beitragsfrei in der Sozialversicherung. Voraussetzung: es werden nur Auslagen erstattet, die vom Verein oder von der Selbsthilfegruppe oder Selbsthilfeinitiative zu finanzieren sind.

Gefälligkeitshandlungen sind unentgeltliche Hilfeleistungen, die mit freundschaftlichen, nachbarschaftlichen Motiven verbunden sind oder aus familiären Bindungen resultieren und nicht auf vertraglichen Vereinbarungen beruhen. Wer Gefälligkeitshandlungen erbracht hat, zum Beispiel einen Freund mit dem Auto mitgenommen oder für ihn eine Besorgung erledigt hat, hat keinen Anspruch auf den Ersatz von geleisteten Aufwendungen – es sei denn, es lagen gesonderte Absprachen vor. Wer die Gefälligkeit leistet, wird bei entstandenen Schäden aber auch nicht zur Haftung herangezogen, es sei denn, es handelt sich um grobe Fahrlässigkeit. Ansonsten geht man von einem stillschweigenden Haftungsausschluss aus. Wenn sich während der Gefälligkeitshandlung ein Schaden aus Handlungen ergibt, die jedermann verboten sind, kann jedoch das so genannte Deliktrecht greifen.

Wer sich mit mindestens einer Person für ein gemeinsames Ziel oder einen gemeinsamen Zweck zusammentut, bildet automatisch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die dann so genannte BGB-Gesellschaft entsteht also praktisch von selbst. So sind zum Beispiel Fahrgemeinschaften aber auch Selbsthilfegruppen BGB-Gesellschaften. Es gibt keine Formvorschriften, jede Person besitzt die gleichen Rechte und Pflichten. Für die Arbeit und die Zugehörigkeit zu der Gruppe treffen die Mitglieder in der Regel gemeinsame Vereinbarungen („Gesellschaftsvertrag“). Als Personengesellschaft besitzt eine BGB-Gesellschaft allerdings nur eine beschränkte Rechtsfähigkeit, verpflichtet bleiben immer die realen Personen.

Bei diesem Stichwort geht es nicht um das Recht auf einen persönlichen Namen und die Rechte, die sich daraus ergeben. Für den Selbsthilfebereich von Bedeutung ist die Namensgebung einer Gruppe, Initiative oder Vereinigung. Grundsätzlich können diese ihren Namen und gegebenenfalls Namenszusätze frei wählen. Dabei darf jedoch ein bestehendes Namensrecht nicht verletzt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Tätigkeit in derselben Branche oder in demselben Bereich erfolgt. Die Rechtsvorschriften hierzu finden sich im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), in dem Handelsgesetzbuch (HGB), im Markengesetz und im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB). Der Schutz eines Namens per Markenschutz wird durch einen kostenpflichtigen Eintrag als Wortmarke (für das Logo oder Emblem kommt auch eine Bildmarke in Frage) beim Deutschen Patentamt erreicht. Wenn ein Name als Wortmarke eingetragen wurde, darf dieser ebenfalls nicht mehr von neuen Firmen, Gruppen, Initiativen oder Vereinigungen benutzt werden.

Mit Patientenbeteiligung ist die gesetzlich verankerte Beteiligung von Interessenvertretern der Patientinnen und Patienten in Gremien des Gesundheitswesens gemeint.

Die Patientenbeteiligung ist in Paragraf 140f des Fünften Sozialgesetzbuchs festgelegt (§140f SGB V).

Auf Bundesebene findet die Beteiligung im Gemeinsamen Bundesausschuss statt. Auf Landesebene findet sie beispielsweise in den Zulassungsausschüssen statt, in denen über die Anzahl und Art der Arztsitze in einer Region entschieden wird. Die Patientenvertretung kann in den Gremien mitberaten, aber nicht mitbestimmen.

In der Patientenbeteiligungsverordnung ist festgelegt, welche Organisationen die Patientenvertreterinnen und Patientenvertreter in die Gremien entsenden dürfen.

Texte © 2019 Nationale Kontakt- und Informationsstelle zur Anregung und Unterstützung von Selbsthilfegruppen, www.nakos.de