Gemeinsam Neues probieren
Meine Beschwerden fingen 2017 an. Wieder und wieder musste ich auf die Toilette rennen. Später kamen die Schmerzen dazu.
Es wurde immer schlimmer. Ich bin dann zum Urologen. Der stellte einen Harnwegsinfekt fest und verschrieb mir Antibiotika. Aber es wurde nicht besser. Der „Harnwegsinfekt“ blieb hartnäckig. Also ging ich zum nächsten Arzt, und zum nächsten und zum nächsten… Ich war bei sieben Urologen, bin durch ganz Deutschland gefahren – und keiner konnte mir helfen. Immer wieder hieß es Blasenentzündung, Antibiotika.
2020 hab ich dann über einen Bekannten einen Urologen getroffen.
Das war ein renommierter Fachmann, längst im wohlverdienten Ruhestand. Der hat mir gleich gesagt „Sie haben IC“. Ich habe was? Interstitielle Zystitis. Das hat er sofort erkannt. Nach drei Jahren Leiden hatte ich nun endlich eine Diagnose – und nun? Ich hatte Glück und habe eine sehr gute Fachärztin für Urologie gefunden. Da war gleich so eine Vertrautheit da. Wir haben immer gut sprechen können und auch mal gelacht und nicht immer alles so bitterernst genommen.
Als es anfing, war es schlimm.
Ich bin nicht mal mehr bis zur Arbeit gekommen, musste unterwegs im Wald anhalten, weil ich es nicht mehr ausgehalten hab. Irgendwann konnte ich gar nicht mehr arbeiten, musste mich krankschreiben lassen. Das ist mir sehr schwergefallen, ich hab gerne gearbeitet. Später haben wir es nochmal probiert mit Hamburger Modell, aber das hat nicht funktioniert. Dann musste ich zum Gutachter und nun bekomm ich halt EU-Rente.
Ich kannte niemanden, der diese Krankheit hatte. Jeder hat gesagt „Ach so, Du hast eine Blasenentzündung“.
Nein, das ist anders. Damals wie heute versuche ich, es zu erklären: die wahnsinnigen Schmerzen, der starke Harndrang, die eingeschränkte Lebensqualität. Bei mir fing es eben mit den vielen Toilettengängen an. Da ist nie Ruhe. Nachts rennt man weiter. Das Ausmaß kann sich niemand vorstellen. Es gibt so viele nicht aufgedeckte Fälle, da heißt es entweder Blasenentzündung oder wird gar auf den Partner geschoben. Das kann Beziehungen zerstören. Deshalb ist es mir wichtig, dass möglichst viele Menschen wissen, dass es diese Krankheit gibt. Damit sie schneller erkannt wird.
Ich habe mich dann umgeschaut – wohin kann ich mich wenden?
Die Ärzte konnten mir nicht helfen, haben gesagt „das kenn ich nicht“. Von ihnen konnte ich keine Tipps bekommen. Aber ich wollte nicht alleine damit dastehen. Und dann hab ich bei der AWO Potsdam angerufen und mit den Kolleginnen von der Selbsthilfekontaktstelle Potsdam-Mittelmark die Selbsthilfegruppe aufgebaut.
Wir treffen uns einmal im Monat – online.
Persönlich gesehen haben wir uns noch nie. Dazu wohnen wir zu weit verstreut. Aber dank der neuen Medien sind wir trotzdem eine Gemeinschaft. In unserer WhatsApp-Gruppe schreiben wir fast jeden Tag, manche sind da ganz aktiv, andere bleiben lieber im Hintergrund. Wenn jemand eine Frage hat, gibt’s meistens sofort eine Antwort. Natürlich nicht immer. Aber wir können uns gegenseitig sagen, was wir ausprobiert haben, was geholfen hat und was gar nicht gut war. Eine Patentlösung gibt es nicht, dazu ist diese Krankheit bei jedem zu unterschiedlich. Der Austausch mit den anderen, deren Erfahrungen in eigene Entscheidungen einfließen zu lassen, mich mit Menschen zu unterhalten, die genau wissen, um was es geht, weil sie es selbst tagtäglich erleben – das schätze ich so. Es gibt immer wieder neue Ideen, was man noch ausprobieren könnte. Was hilft wirklich? Wie sieht es mit Nebenwirkungen aus? Therapien sind teuer, das meiste müssen wir selbst bezahlen. Und irgendwann kommt der Punkt, wo man sagen muss, tut mir leid, ich kann mir das finanziell nicht mehr leisten. Traurig. So geht es vielen. Da ist der Erfahrungsaustausch eine große Hilfe für viele. Ich selbst kombiniere viel mit TCM und verlass mich nicht nur auf die Schulmedizin. Es gibt noch keine Heilung, also müssen wir probieren, was uns guttut. Jeder Tag ist verschieden. Wir machen uns gegenseitig Mut. Wenn mal jemand so ganz fertig ist und nichts geholfen hat. Dann ist die Gruppe da. Das ist wirklich schön.
Der Zusammenhalt ist wichtig.
Sich gegenseitig stärken. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte die Gruppe nicht, würde mir was fehlen. Weil jeder weiß, wovon er spricht. Wenn ich mit anderen spreche, die das nicht haben, sagen sie auch „das ist furchtbar“ und „das würde ich ja nicht aushalten“. Aber Sprüche helfen nicht. Was auch nicht hilft, ist Selbstmitleid. Klar gibt’s auch Tage, wo ich mir denke, warum ich. Doch dann ist die Gruppe da und fängt mich auf. Jeder in der Gruppe weiß, wovon er spricht. Das ist wichtig. Egal was man hat, dass man den anderen versteht. Ich will kein Mitleid, aber ich möchte verstanden werden. Ich weiß, da sind noch andere, die das auch haben. Ich weiß, ich bin nicht allein.
Birgit Kölbl, 63
Online-Selbsthilfegruppe Interstitielle Zystitis (IC)