Mein Leben neu sortieren

Ich bin Franziska, 36 Jahre alt, Mutter von zwei Söhnen. Einen halte ich an der Hand, einen trage ich im Herzen.

Als ich nach langjährigem zweitem Kinderwunsch einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hielt, konnte ich mein Glück nicht fassen. Mein Leben fühlte sich komplett an, alles war gut so, wie es war. Mein Sohn durfte endlich großer Bruder werden. Ich erlebte eine wundervolle Schwangerschaft. Thore war immer zeitgemäß entwickelt, sein Herz schlug kräftig und er bewegte sich auf und ab in meinem Bauch. Zwei Tage vor dem errechneten Entbindungstermin war ich morgens zum Routinecheck in der Klinik – alles war bestens, wie immer.

Einen Tag später war mein Baby sehr ruhig. Ich konnte keine Bewegungen im Bauch wahrnehmen. Das hatte mich zunächst nicht beunruhigt, er sollte ja bald zur Welt kommen, vermutlich sammelte er Kraft, so heißt es ja immer. Am Abend sind wir dann doch nochmal in die Klinik gefahren. Ich wollte einfach die Gewissheit, dass alles in Ordnung ist, damit ich ruhig schlafen kann.

Doch geschlafen habe ich in dieser und den darauffolgenden Nächten nicht. Nachdem die Hebamme vergeblich mit dem CTG den Herzschlag meines Jungen suchte, holte sie geschwind die Ärztin dazu. Diese machte einen Ultraschall und sagte kurz und knapp: “Da ist kein Herzschlag.” Mein Baby war tot – gestorben in meinem Bauch, unter meinem Herzen.

Mein Leben teilte sich schlagartig in ein Davor und ein Danach. Schmerz. Stechender, nicht endender Schmerz. Leere. Stille. Unaufhaltbare Stille.

Fünf Tage später brachte ich meinen wunderschönen Sohn zur Welt. Dies war ein so magischer Moment und gleichzeitig hat es mich innerlich in tausend Stücke zerrissen. Unter der Geburt zeigte sich der Grund für seinen Tod. Thore starb an einem echten Nabelschnurknoten.

Erstmal hieß es nur überleben. Anschließend musste ich damit beginnen, mein Leben neu zu sortieren. Wer bin ich? Wie mache ich weiter? Wer will ich sein? Was brauche ich? Was tut mir gut? Das waren Ruhe, viele Tränen, Zeit, Auseinandersetzen mit der Sternenkinderthematik. Menschen, die mir zuhören, die sich wirklich für uns und unseren Sohn interessieren, die für mich da sind und keine klugen Ratschläge geben.

Daher habe ich die Selbsthilfegruppe Sternenkinder Zirkel in Cottbus gegründet. Ich wollte einen Raum schaffen, in dem Menschen einander begegnen können, die selbst um ein Sternenkind trauern. Egal, wie lange es her ist, egal, wann sie ihr Kind verloren haben. Ein Verlust ist ein Verlust! Diese Lücke in einer Familie bleibt für immer bestehen, mit dem Schmerz muss man für immer leben. Diese Gruppe ist offen ebenso für Angehörige sowie Menschen, die Sternenkinder in ihrem näheren Umfeld haben. Wir tauschen uns aus, machen unsere toten Kinder sichtbar, denn sie gehören zu uns. Wir schöpfen gemeinsam Kraft aus Ritualen und denken in Liebe an unsere Kinder.

 

Franziska Barthel

Gründerin der Selbsthilfegruppe Sternenkinder Zirkel bei der Selbsthilfekontaktstelle REKIS Cottbus

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