Ein selbstbestimmtes Leben führen.
Alkohol und Gewalt haben in meiner Familie von Kindheit an immer eine große Rolle gespielt. Mein leiblicher Vater war Fremdenlegionär. Er war alkohol- und drogenabhängig. Mein Stiefvater war auch Alkoholiker und mir gegenüber sehr gewalttätig. Meine 5 Jahre jüngere Schwester -sein leibliches Kind – hatte es da besser. Meine Mutter war auch sehr gewalttätig. Alle Probleme, die es in der Erziehung gab, wurden mit Schlägen „gelöst“. Bis ich irgendwann für mich erkannte, wenn ich mir so ein paar Likörchen gebe, ist das alles nicht so schlimm. Alkohol war bei uns zu Hause immer greifbar und meine Mutter hatte eine tolle Bar für den Stiefvater eingerichtet und führte zudem eine eigene Gaststätte. An der heimischen Bar habe ich mich oft bedient. Damals war ich 13 Jahre. Niemand hat etwas bemerkt, oder besser gesagt: niemand wollte etwas bemerken. Zu meiner Jugendweihe war ich vollkommen besoffen.
So hat sich der Alkohol durch mein ganzes Leben gezogen. Getrunken habe ich seit meinem 13 Lebensjahr regelmäßig. Mal mehr mal weniger. Und wie es so ist im Leben, trifft man auch immer auf entsprechende Menschen mit ähnlichen Problemen. Bewusst aufgehört mit dem Trinken habe ich genau 4 Mal in meinem Leben. Nämlich dann, wenn ich wusste ich bin schwanger.Mit 17 kam das erste Kind. Ich war alleinerziehend. Die Schande des Dorfes. So kam es, dass meine Mutter eine Bewerbung für mich schrieb und ich dann mit meinem 9 Monate alten Sohn allein in die große Welt geschickt wurde. Nach Hennigsdorf ins Stahl- und Walzwerk. Im 4 Schicht System, der Sohn war in der Wochenkrippe und ich überfordert. Da ging es dann richtig los mit dem Trinken.
In der Zwischenzeit war ich dann zweimal verheiratet. Zuerst mit einem Alkoholiker, der sich totgesoffen hat. Der 2.Mann war ein Afrikaner, der mich für seinen Aufenthalt hier gebraucht hat und mich ansonsten bis nach ganz unten gewirtschaftet hat. Schläge, Unterdrückung Frauenhaus, Misshandlung, drei Suizidversuche. Irgendwann habe ich auch hier den Absprung geschafft und mich scheiden gelassen. Dann hatte ich noch einmal eine lange Phase in der ich mich körperlich und seelisch mit meiner Sauferei fast um alles gebracht habe, was ich über alles liebe, immer geliebt habe und bis an mein Lebensende lieben werde. MEINE 4 KINDER. Auch heute noch kann ich mir nicht verzeihen, was ich Ihnen durch meine Alkoholkrankheit angetan habe.
Dann im März 2010 nachdem ich 5 Monate jeden Tag besoffen war, war ich am Ende. Meine Kinder haben zu mir gesagt, dass sie den Kontakt zu mir abbrechen werden, wenn ich mir jetzt nicht helfen lasse. Ich wusste, alleine schaffe ich das jetzt nicht mehr. Ich habe mich sehr geschämt. Aber ich hab´s getan! Ich bin in die Klinik gegangen und habe dort zum ersten Mal gesehen, dass ich ja gar nicht alleine bin. Ja, ich hab meine Zeit im Krankenhaus genutzt, habe mir Selbsthilfegruppen und ihre Konzepte angesehen und angehört. Gleich am ersten Abend, als ich wieder zu Hause war, bin ich in eine Selbsthilfegruppe gegangen. Ich war hoffnungsvoll aber auch voller Angst.
Ich bin 3 Mal mit meinem Fahrrad an einer Menschengruppe, die vor dem Gebäude wartete vorbeigefahren. Hab mich nicht getraut anzuhalten. Bis dann ein Mann sagte: „Na Mädel, du willst wohl zu uns!“ Da war das Eis gebrochen. Ich habe mich in dieser Selbsthilfegruppe vom ersten Augenblick an wohl und verstanden gefühlt. Das ist nun fast 10 Jahre her. Mittlerweile bin ich die Leiterin dieser Gruppe, bin Landessprecherin aller Suchtselbsthilfegruppen im Land Brandenburg und bin als Lotse bei der BLS. Jeder Gruppenbesuch ist für mich etwas besonderes. Ich habe diese Kämpfer schätzen und lieben gelernt. Auch wenn es mal Rückfälle oder auch Todesfälle gibt. Wir sind eine große Familie wo einer für den anderen da ist. Jeder, der Hilfe sucht, ist bei uns willkommen. Wir arbeiten auch sehr gut mit dem Krankenhaus Hennigsdorf zusammen, wo ich meine Gruppe einmal monatlich vorstelle und die Patienten einlade, sich auch mal eine Selbsthilfegruppe anzusehen. Auch durch die Betreuung der Lotsen finden viele Menschen, die ihr zukünftiges Leben ohne Alkohol verbringen wollen, in die Selbsthilfegruppen.
Mir persönlich hilft das wöchentliche Treffen trocken zu bleiben. Ich kann mir ein Leben ohne meine Selbsthilfegruppe gar nicht mehr vorstellen. Auch weil wir viel unternehmen. Wir gehen Bowlen, veranstalten Sommerfeste, Weinachtsfeiern, Vorlesungen, Vorträge und vieles mehr. Ich kann nur sagen, jeder der trocken bleiben will, sollte sich eine zu ihm passende Selbsthilfegruppe suchen. Das ist in meinen Augen die beste Hilfe die es gibt.
Heidrun Correia da Conceicao
Gruppenleiterin SHG „STEH AUF“ Für Alkohol und Medikamentenabhängige Menschen.
Drogenberatungstelle DRK, Hennigsdorf