Selbst aktiv werden

„Selbsthilfegruppe? Lass mich bloß zufrieden damit!“

Gruppentreffen, Psychotherapie, Gesprächskreise – das war nichts für mich. Im Gegenteil: ich habe das alles für mich als eher negativ empfunden. Selbst als ich wegen Herzproblemen in die Reha musste, war ich überzeugt: ich brauche „so etwas“ nicht. Schließlich war ich immer noch stark genug, um mich da „rauszuwurschteln“. Mein Leben ging wie gewohnt weiter.

Dann, im April 2021, bekam ich Corona. Das hat mich komplett umgehauen. Ich habe nur noch auf Sparflamme funktioniert – Couch, Essen, Schlafen – für mehr fehlte mir die Energie. Nach sechs Wochen bin ich zurück an die Arbeit. Richtig fit war ich noch lange nicht.

Aber nicht zur Arbeit gehen? Das kam für mich nicht in Frage.

Ich arbeitete seit 1975 im Kraftwerk Schwarze Pumpe. Ich liebte meinen Job. Ich war im Dreischichtsystem im Leitstand tätig, ein anspruchsvoller Job mit Acht- und Zwölf-Stunden-Schichten. Stets aufmerksam bleiben. Jeder kleinste Fehler konnte schlimmstenfalls zum Ausfall der Anlage führen. Am liebsten waren mir immer die Nachtschichten, denn ich hatte das große Glück, auch tagsüber schlafen zu können. Ich ging jeden Tag 10 km spazieren, fuhr viel mit dem Fahrrad, ging jede Woche Schwimmen mit den Enkeln.

Das hat sich mit Covid geändert.

Plötzlich kam ich nach der Arbeit nach Hause, fiel völlig erschöpft ins Bett, und schlief, bis ich das Haus wieder verließ. Meine Familie konnte in dieser Zeit nichts mit mir anfangen. Das war kein Zustand. Mal ganz davon abgesehen, was alles hätte schiefgehen können. Eigentlich hätte man mich gar nicht mehr auf den Leitstand lassen dürfen. Manche Tage wusste ich nicht mal mehr, wie ich nach Hause gekommen bin.

Fast genau ein Jahr nach der ersten Infektion habe ich mich dann wieder mit Covid angesteckt. Da ging es mir noch schlechter als davor. Ich wusste einfach nicht, was mit mir war. Ich war immer platt, neben der Spur, habe versucht, wie gewohnt meinen Job zu machen. Danach war ich nicht mehr zu gebrauchen. Ich habe mich so manches Mal für eine allzu heftige Überreaktion entschuldigen müssen. Es war mir alles zu viel.

Die Reha in Feldberg war ein Wendepunkt für mich.

Da hat man mir gesagt, was mit mir los war: Diagnose Post Covid. Inzwischen habe ich gelernt, dass Post Covid wie ein großer bunter Blumenstrauß ist, da ist von neurologischen und psychosomatischen Symptomen, Atemwegsproblemen, Herz-Kreislauf, 8-Punkte-Gelenkschmerzen, bis hin zu Schlaflosigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsschwierigkeiten, eigentlich alles dabei. Niemand weiß, welche Blume er pflückt. Ich habe so einige in meine Vase gestellt.

In Feldberg war es das erste Mal, dass ich Gruppengespräche als sehr hilfreich und positiv für mich entdeckt habe.

Ich habe Menschen gefunden, denen es so ging wie mir. Wir haben uns verstanden, wussten sofort, wie der andere sich fühlt. Und das tat gut. Das war für mich der Einstieg. Für mich war klar, wenn ich nach Spremberg zurückkomme, versuche ich, eine Selbsthilfegruppe zu organisieren. Im Internet habe ich die Nummer der Kontakt- und Informationsstelle Selbsthilfe KiSS in Spremberg gefunden. Ich dachte ich mir, da ruf ich mal an. Ich habe dann erfahren, dass es schon paar Leute gab, die sich online ab und zu getroffen haben. Da wollte ich gern dabei sein. Und habe schnell gemerkt: ich will mehr machen. Will die Menschen auch persönlich treffen. Mittlerweile sehen wir uns einmal im Monat.

Ich nehme aus unseren Gruppentreffen so viel mit.

Ich fühle mich danach immer besser als vorher. Auch, wenn es mich manchmal Kraft kostet, dorthin zu fahren. Es tut mir gut, wenn ich Worte finde, um anderen zu helfen. Es ist schön zu sehen, wie sich die Denkweise in der Gruppe verändert: wie jemand, der beim ersten Mal noch ganz verzweifelt ist und sagt, er wisse nicht ein noch aus, im Laufe der Zeit wieder Zuversicht schöpft. Ich versuche, Mut zu machen, berichte von meinen Erfahrungen. Was mir z. B. sehr hilft sind Apps zum kognitiven Üben. Mein Arzt kann sie mir verschreiben, durchführen muss ich sie selbst.

Das finde ich wichtig: die Erkenntnis, dass man selbst verantwortlich ist.

Dass es an mir liegt, meine Übungen zu machen. Meinen Tag zu strukturieren. Mir Pausen einzugestehen. Oder auch meinen Mitmenschen zu sagen, ich brauch jetzt mal einen Moment. Die sehen ja nicht, wie es in mir aussieht. Nur ich kann für mich selbst sorgen. Es motiviert mich, wenn ich Fortschritte sehe: klitzekleine Bausteine, die eine Verbesserung signalisieren. Das sind so Punkte, die lernt man nicht von heut auf morgen. Die lernt man nur, wenn einem die Hand gegeben wird. So, wie die KiSS mir die Hand gegeben hat.

Ich versuche, so gut und motiviert wie möglich in den Tag zu gehen.

Jeder Tag ist anders. Es gehört jetzt zu meinem Leben dazu, mir meine Kräfte einzuteilen. Wenn ich abends noch Reserven habe und ich merke, die kann ich noch abrufen, ohne mir zu schaden, dann mach ich das. Gehe nochmal eine Runde spazieren. Das gebe ich auch den anderen in der Gruppe auch immer wieder mit: Achtet auf Euch.

Lutz Hennrich, 65

Selbsthilfegruppe Post Covid

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