Autisten eine Stimme geben!
Ich merkte schon früh, dass mein Sohn irgendwie anders ist. Einerseits war er sehr begabt. Er konnte bereits mit vier Jahren lesen und mit fünf Jahren englisch sprechen. Andererseits fühlte er sich durch den normalen Alltag im Kindergarten oft überfordert. Er war introvertiert und hatte andere Interessen. Mit den anderen Kindern wollte er zwar spielen, wusste aber nicht so genau, wie es geht.
Ich bin bereits damals- vor 20 Jahren- zu zahlreichen Ärzten gegangen, aber niemand konnte mir helfen. Das Schlimme war, dass ich mich auch sehr unverstanden und allein gelassen fühlte. Es gab weder für mein Kind, noch für mich als Mutter Unterstützung.
Mit den Jahren spitzte sich die Situation weiter zu. Mein Sohn war glücklich, wenn es in seiner eigenen Welt war. Er brauchte feste Strukturen und Regeln. Aber er zerbrach regelrecht an den Anforderungen und dem Unverständnis der Außenwelt. Das führte sogar soweit, dass er in der 5.Klasse einen Selbstmordversuch unternahm.
Als Mutter war ich natürlich sehr verzweifelt. Doch statt Unterstützung erwartete mich von Seiten der Ärzte Stigmatisierung. Ich sei eine „Kühlschrankmutter“ warf man mir vor. Ich sei also unterkühlt zu meinem Kind und dadurch hätte es Defizite im Sozialverhalten. Für uns als Familie war es ein jahrelanger Kampf und eine schwierige Suche nach dem richtigen Weg. Wir haben versucht uns nicht verunsichern zu lassen und immer zusammengehalten.
Trotz dieser ganzen Schwierigkeiten haben wir für und mit meinem Sohn einen guten Weg gefunden. Er ist jetzt 25 und führt ein Leben, das auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist und es ihm erlaubt, sich glücklich und ausgeglichen zu fühlen. Gleichzeitig setzen wir uns gemeinsam dafür ein, dass sich die Rahmenbedingungen für Autisten in unserer Gesellschaft verbessern.
Im Frühjahr 2019 ermutigte mein Mann mich dazu, mein Wissen und meine Erfahrungen mit anderen Betroffenen zu teilen. Ich möchte aufklären und anderen Leid ersparen. Deshalb habe ich im April 2019 die Selbsthilfegruppe „Autismus“ für Betroffene und Angehörige in Brandenburg/Havel gegründet. Das Tolle an unserer Gruppe ist, dass wir mit der „Lebenshilfe“ zusammenarbeiten. Eine Mitarbeiterin der Lebenshilfe hatte sich spontan bereit erklärt auf die Kinder aufzupassen, während die Erwachsenen sich in der Gruppe austauschen.
Mittlerweile ist in unserer Gruppe ein reger Austausch entstanden und wir planen sogar Projekte, die es Autisten in unserer Gesellschaft leichter machen sollen. So haben wir beispielsweise einen Ausweis entwickelt, mit dem sich Autisten kenntlich machen können und auf dem auch Ansprechpartner vermerkt sind.
Carola Niekisch
Leiterin Selbsthilfegruppe „Autismus-Betroffene und Angehörige“ bei der Brandenburger Informations- und Kontaktstelle für Selbsthilfe (BIKS)